Tag 9: Angst, Heimweh und alleine sein
Gesamt km: 985
Osterfrühstück mit Martina und ihren Eltern. Es ist kalt und regnerisch und das Heimweh trifft Moritz plötzlich mit voller Wucht; nach einiger Überlegung beschliesst er, wieder Richtung nach Hause zu fahren. Die Unsicherheit um Quarantäne in Deutschland und seinem Job machen ihm zu schaffen.
Als gemeinsamen Abschied wollen wir noch die Burg am Hügel in Orahovica besuchen. Nach 4km einrollen von Martinas Haus sehen wir tiefschwarze Wolken im Süden und der Regen verwandelt sich auch bei uns in Schneeregen. Wir sitzen etwa 20 min schweigend in einer bühnenartigen Kuppel im vollkommen ausgestorbenen Zentrum Orahovicas.
Als es trockener wird, bleibt der Abschied unvermeidlich.
„Vielen Dank, dass du dabei warst, Moritz. Du hast meinen Reisestart sehr mitgetragen.“
Wir umarmen uns und Moritz sagt:
„… du bist echt der mutigste Mensch, den ich kennengelernt habe.“
Als mir die Tränen kommen, kann ich nicht mehr, steige auf mein Rad und fahre los.
Nur um nach 5 Minuten wieder anzuhalten, weil der Himmel statt mir weint. Weil ich nicht weinen kann – warum fällt es mir wieder so schwer? – macht es die Welt für mich. Wieder trockener und 10 min später nochmals ein Schauer. Und plötzlich erwischt es mich mit voller Wucht: ich stehe hier im nasskalten Ostende Kroatiens und will noch weiter nach Osten. Weg von allem, was ich kenne ins Unbekannte – Warum? Weil… ja, da ist gerade nichts mehr.
Als es wieder trockener wird, halte ich mich an dieser Grundlosigkeit fest.

Die ersten Kilometer geht es immer wieder langgezogene Kleinanstiege mit 5% und 500m Länge rauf. Ich rolle langsam vor mich hin. Der Rückenwind von gestern ist auch dahin. Ich erzähle Jan und Miri in Sprachnachrichten davon und bitte die Männergruppe um Rat beim Umgang mit alleine sein. Nach 25km erreiche ich Našice und esse den Eiersalat von Martina aus einem Reifenheber. Ein schöner Spielplatz an einem Hang, der mich an die Kinder erinnert.

Eine Sprachnachricht von Miri und Micha, die in Deutschland auf dem Gipfel des Schellschlichts (2.052m) stehen und mir mit sehr lieben Worten versuchen, zu helfen.
Es geht weiter und die km, die Beine sind schwer. Ich mache immer wieder eine Übung: 100 Atemzüge ganz einfach zählen und währenddessen treten.
Schliesslich lege ich mich ins Gras und schaue den Himmel an.
Irgendwann komme ich in Osijek an. Statt offenen Restaurants finde ich erst einmal nichts, versinke in eine Opferrolle, in der ich auch nicht um Hilfe frage, sondern mich in einen innerlich wütenden, selbstzerstörerischen Mantel Hülle und ganz ganz viele Dinge mit Nein bewerte. Grosse Kirche doof. 4 Sterne Hotel doof. Rote Ampel doof.
Die Sonne geht unter. Auf der anderen Drava-Seite zelten? Es wird wohl unter 0 Grad Celsius die Nacht. Schliesslich gehe ich zu McDonalds, bestelle einen Tasty Bacon ohne Fleisch und frage zwei jüngere Frauen, ob sie wissen, wo ich übernachten kann. Sie geben mir sogar ihr Handy zum telefonieren. Das Hostel hat allerdings zu.
Ich setze mich mit dem Essen an die Flusspromenade.
Ein älterer Wanderer quatscht mich an. Božir dar Božič habe 1988 am Oktoberfest Biergläser gespült. Er zeigt mir die Altstadt und zusammen finden wir 2 offene Hostels.

Im Zimmer telefoniere ich mit Miri und verlange nach liebevollem Umgang, während ich selbst noch nicht erkenne, dass mein Alleinsein ganz einfach in mir sitzt und nach einem liebevollen Umgang mit mir selbst schreit. Schliesslich schlafe ich dankbar ein. Danke an alle, die mich unterstützen. Danke an Jan für die Unterstützung.
Jetzt geht es erst einmal Richtung Ilok und dann über die Donau über die Grenze nach Serbien. Wünscht mir Glück. Bis bald




