Tag #10: farbenfrohes Serbien
Gesamt km: 1099
Ein langes Frühstück im Hostel und ein kühler, windiger Morgen auf dem Rad. Ich bewege mich auf der Karte immer weiter ins östlichste Eck Kroatiens. Ilok, ein kleines Städtchen in einem nasenförmigen Ausschnitt des Landes, das auch etwas die Donau streift.
Zunächst aber Pause in Vukovar. Hier erreiche ich nach über 1.000km die Donau. Der Fluss, der als verglichen kleines Rinnsal an meinem Heimatort vorbeifliesst. Hätte ich dort ein Schiffchen ins Wasser gestellt, wäre es noch nicht angekommen – die Donau fliesst hier nur mit 2km/h.
Der Wind peitscht immer wieder von Süden, während ich nach Osten radele. Doch die Topfebene Fläche erscheint mir heute schön.
An der Grenze stehe ich kurz unentschlossen am Strassenrand: probiere ich es einfach, oder suche ich mir einen „grünen“ Grenzübergang?
Laut den Regeln komme ich entweder nur mit PCR-Test aus einem Labor durch oder mit Transit, der allerdings auf 12 std. Begrenzt ist – was für mich geplanten 400km in Serbien unmöglich ist.
Ich rolle auf das kroatische Grenzhäuschen zu. Die Schranken sind oben, also rolle ich weiter und werde gleich zurückgepfiffen. Die Dame am Schalter fragt hochtrabend: „what is this?“
Lässt mich aber nach Check des Reisepasses durch.
Ich rolle auf die riesige Donaubrücke und mein Sicherheitsdenken sagt: Ups! Was mache ich denn, wenn ich drüben nicht durchgelassen werde? Wenn ich dann zurückmuss und nicht mehr nach Kroatien reingelassen werde, weil die meinen Selbsttest nicht akzeptieren? Puh… dann…
Egal, ich rolle auf die serbische Seite. Mein Gremlin sucht das Brückenende auf der serbischen Seite ab – vielleicht springe ich einfach von der Brücke? Hm, so mache ich mich sicher strafbar.
Also ganz brav und freundlich.
Ein älterer Herr mit Brille nimmt meinen Reisepass. Pieps.
„PCR-Test?“
Ich hole meinen Negativ-Selbsttest aus der Tüte und halte es ihm hin. „I have a selftest. It is negativ.“
Als er nicht reagiert, sage ich:
„Antigen-Test.“ Und beisse mir auf die Lippe. Verdammt. Die Antigentest gelten streng genommen auch als PCR tests, nur werden weniger anerkannt. Das zu erwähnen war unnötig. Beiläufig sage ich: „I want to transit serbia. I want to go to bulgaria.“
Wozu der Beamte nur abwinkt.
Er zeigt hinter mich und sagt: „parking.“ Mit dem Telefonhörer in der Hand.
Ok. Fahrrad abstellen. Warten.
Mehrere weitere Beamten werden konsultiert. Bis ein jüngerer auf mich zukommt und sagt: „You have to go back.“
Bevor ich mich abwimmeln lasse, frage ich nochmal: „Transit to bulgaria?“
Da geht er nochmal zu den anderen, schaut noch einmal in den Reisepass und sagt: „Transit is okay.“ Und lässt mich durch.
Der Freudensprung bleibt aus. Denn die Freude ist mit Angst kombiniert. Was passiert beim Checkout? Wurde ich jetzt als Transit registriert? Kein Plan. Der Beamte hst mir nichts erklärt zu einer Zeitbegrenzung. Das wird schon gutgehen.
Also ab in das Dörfchen Backa Palanka. Oder eher kleine Stadt. Es empfängt mich ein wunderbares Chaos:
Farben. Viele, viele Autos und Menschen auf den Strassen. Serbien scheint hier viel belebter als Ostkroatien.
Eine Pumpstation mit festgebundenen Radlwerkzeugen an einer Strassenecke. Beim ersten Supermarkt steige ich 2mal vom Rad ab und wieder auf, bevor ich reingehe; Angst vor Dieben, Zweifel, ob die Euro akzeptieren… Naja, probieren wirs mal: sie akzeptieren keine Euros. Also Geldwechseln. An der nächsten Strassenecke ist ein Kiosk mit einem WesternUnion Zeichen. Yes. Ab da hin. Im kleinen Guckloch des Tresens sitzt eine junge Frau und ich fühle mich im folgenden Prozess an ein altes Point&Click Adventure erinnert, bei dem man endlich den richtigen Ansprechpartner gefunden hat, bei dem man „richtig absahnen“ kann, weil man in der Quest weiterkommt.
Ich wechsle 120€ in 14.000(!!!) Serbische Dinar um und kaufe mir mit einem 1.000er Schein erstmal eine Cola.
Dann: eine Prepaidkarte und – Gorana – heisst die Dame – und ich müssen immer wieder lachen, weil ich wahrscheinlich vollkommen hilflos wirke. Die Kollegin gibt mir noch eine gebogene Büroklammer und so kann es losgehen mit einem 4gb Datenpaket in Serbien. Für 300 Dinar, oder: 2,50€.
Als letztes frage ich Gorana noch nach Essmöglichkeiten.
So bekomme ich noch leckere Pommes in einem wuseligen City Center.
Es geht wieder nach Osten. Der Asphalt ist genauso wild, wie sich mir das ganze Land zeigt. Für 5km ist starker Verkehr auf der Hauptstrasse – dann finde ich auf der Karte eine Nebenstrecke – kann ich der Vertrauen? Diesmal erweist es sich als geniale Entscheidung: ein asphaltierter Radweg auf dem Damm direkt an der Donau. Und dort liegen mehrere Geschenke bereit:
Zunächst Mičko, der mit mir auf deutsch und englisch spricht und von seinen Schweinen erzählt. Er ist mit ganz gemütlichen 13km/h unterwegs. Wir fahren mehrere Minuten nebeneinander. Er zeigt mir Bilder von seinen Kindern, ich von meinen und von Miri. Ein Teil von mir will weiter im Gespräch bleiben, der andere Teil will weiter. Ich entscheide mich für letzteres und werde 2 Minuten später von einem Rennradler eingeholt, der Saša heisst. Nach einem Gespräch auf dem Fahrrad ruft er während dem Fahren seine Frau an und klärt ab, dass ich bei ihm übernachten darf. 5 minuten später ruft er sie erneut an, um sicherzustellen, dass sie Hund Molly auch ja wegsperrt, weil dieser mich sonst anfallen würde. Wirklich?
In gebrochenem englisch erzähle ich ihm von meiner Drohne, und ob er gerne eine kinoartige Aufnahme von sich haben will.
Er ist gespannt und schaut mir beim Aufbauen zu. Während die Drohne in einer Schleife um ihn dreht, schsut er verlegen von der Kamera weg und wieder hin.
Schöner Mensch, dieser Saša. Vor 2 Jahren hat er das Brevet Paris – Brest – Paris mitgemacht. 1.200 km Nonstop mit dem Fahrrad, in einem Zeitlimit von 90 Stunden.
Im Haus angekommen werde ich von Sohn Uruš bekocht mit einem grossen Omelette. Wir unterhalten uns lange und er erzählt von der Trennung von seiner Freundin während der Coronazeit. Er erzählt mir soviel, wie er wohl nie jemandem erzählt hat. Sein männlicher Freund würde nicht „über Probleme reden“ und die weibliche Freundin hätte ihm geraten, die Beziehung zu seiner Freundin zu beenden.
An diesem kleinen Ort, am Küchentisch, während Saša ins Handy glotzt ukd scheinbar nicht zuhört, schaffen wir eine Atmosphäre in der Uruš das erste mal erzählt.
Er erzählt, dass er während Corona seinen Job in der Bar verloren habe und, da es für ihn als Mann die Aufgabe sei, beim ausgehen zu bezahlen, sind die beiden nicht mehr ausgegangen, dadurch immer weiter im Haus geblieben.
Ich erzähle ihm, dass es eine über Generationen eingetrichterte Emotion ist, dass Männer bezahlen müssen und eine Nichterfüllung dessen zu einem grossen Identitätsproblem führt.
Später kommt die Frau Sašas nach Hause. Sie wünscht sich, in Deutschland arbeiten zu können. Nach einem längeren Gespräch, indem ich mit den finanziellen Verhältnissen der Familie konfrontiert werde, wird mir ganz, ganz deutlich in welchem Luxus wir in Deutschland leben. Der Durchschnittsverdienst liegt hier bei 400€/ Monat. Und die Frau von Saša hat nur 7 Tage Urlaub im Jahr.
Wir machen mit sprachlichen Hürden eine Coachingstunde, in der sie in ganz kleinen Schritten bestimmt, wann sie was sie haben möchte.
Schliesslich spiele ich mit Urus noch eine Runde League of Legends und falle todmüde ins Bett.