Tag 22: Sofia
Die Erzählungen von Yana haben mir vor allem eines gezeigt: wer oder was bringt mich denn dazu, so schnell fahren zu wollen? Ich habe unendlich Zeit. Und ja, mein Anspruch an mich selbst war es, viele Kilometer zu spulen. Doch jetzt hat sich alles verändert. Und ja, 85km gehen auch mit Kuku. Aber wozu? Was hat dieses Land noch alles zu bieten? Direkt von Sofia aus gibt es drei Nationalparks mit Bergen. Und ja, es regnet gerade und wird auch noch 3 Tage weiterregnen. Mensch, bin ich aus Zucker. Durch warmshowers und die vielen Einladungen bin ich gnadenlos verwöhnt, ja fast behütet unterwegs gewesen. Grrr. Macht mich das gerade wütend. Dass ich Angst habe vor dem Regen. Vor der Kälte. Vor dem Alleine an einer Strassenecke stehen und mir einen warmen, trockenen Raum wünschen. Bei Regen sind noch viel weniger Leute unterwegs. Durch Corona sind sowieso fast keine Reiseradler unterwegs. Bei Regen wohl noch weniger. Und ja, ich habe auch Angst vor der Armut dieses Landes. Vor aufgerissenen Strassen und Menschen, die kein Wort englisch können. Wieviel Lächeln, wieviel Energie, wieviel Kraft brauche ich, um vollkommene sprachliche Hürden zu überwinden?
Es ging allerdings zuerst einmal zum Sofia Bike Shop. Zu Soaf (oder swaf?), der Reisepartner von Yana, der schon etliche Reisen erlebt hat. Er sei der allergrösste Meister im Basteln. Ich stelle den Hänger vor der Tür ab und stehe erst einmal vor Aleksander. Swaf folgt darauf. Er schsut sich den Hänger an:
Im hinteren Bereich verläuft eine Art senkrechter Stoffhang, der als Lehne fungiert. Dieser ist oben an einer Stange aufgehängt und war unten mit der Liegefläche vernäht. Kukus etliche Ausstiegsversuche mitsamt dem Unfall haben diese Vernähung um etwa die Hälfte aufgerissen, wodurch auf der (von vorne gesehenen) linken Seite ein grosses Loch nach hinten durch entstanden ist.
Swaf will die Vernähung gänzlich aufschneiden und an der unteren Liegefläche eine schlanke Verstebung anbringen und den Stoffhang an dieser Verstrebung mit Kablebindern festziehen. Klingt nach einer guten Idee, die ein paar hundert Kilometer halten könnte. Während Swaf sägt, bastelt und hämmert, baut Aleksander ein neues Schaltwerk an ein rotes Mountainbike. Der Bikeshop besteht aus einem 3 Meter breiten und etwa 8 Meter langen Raum, ddr rechts fast zur Gänze mit Fahrrädern vollsteht. Hinten ist die Werkstatt und eine Luke, über die man in den Keller steigen kann. Hier kann man auch über wamrshowers übernachten.
Ich sehe mir Swaf und Aleksander an, sehe mir die Flyer zu kostenlosen Wandertouren zum Vitosha-berggebiet an und bin beeindruckt von der gebenden Energie an diesem Ort. Auch Swafs Tourenrad steht zwischen den anderen Rädern.
Keine Ahnung was für eine Marke, was für Anbauteile – es hat jedenfalls Charakter. Es hat Regenwälder und Wüsten bis hin zu den Bergen und Winden Patagoniens getrotzt.
Da wird mir klar in welch „einfachen“ Reiseländern ich bisher unterwegs war.
Ich erinnere mich an 2009, als ich die 10km von Giovannis Haus bis ins Projektgebiet im Amazonas gejoggt bin. Brasilien hat zwar keine Berge, keine wirkliche Höhenmeter am Stück. Doch plötzliche 15% auf rotem Regenwaldmatsch sind was ganz anderes als ein wenig bucklige Strassen in Bulgarien.
Dazu denke ich an Yanas Kommentar, warum es mir an den Grenzen bisher so leicht gefallen ist:
„The guards just look at you and think: Oh, those poor guys. They are gonna sleep in the bushes, eat their beans out of cans… Corona? No way…“
Ja. Absurd. Während sich die weniger entwickelten Menschen nach Deutschland wünschen, Deutsch lernen und sich nach Sicherheit, Sauberkeit, Strom, Wasser und … ja, was eigentlich? Sehnen, gebe ich das auf, um deren Welt zu sehen, um – ja, was eigentlich – zu finden?
Swaf zieht die letzten Kabelbinder fest und schenkt mir auf Nachfrage noch 10 Stück.
Ich stehe mitten im Raum, zwischen uns die Luke, die meiner Unsicherheit in der Frage: „what do you want for that?“ Raum verleiht.
Ein ganz kurzes, leichtes Lächeln, dann: „Nothing. I received so much on my trips. Thank you that you are going on a trip.“
Und in mir wächst eine grosse Liebe ubd Dankbarkeit für diesen Mann. Wow.
Aleksander spielt ein letztes Mal mit Kuku. Dann gehen wir „heim“
Später liege ich auf dem Bett. Kuku und ich dösen, schlafen. Warum bin ich so müde? Ich glaube, der Unfall mit Kuku und die ständige Frage, wie es weitergeht, ziehen mir Energie. Ich brauche, möchte auf jeden Fall einiges: Wuttraining. Klarheit und Energie. Jap. Das wird bald gemacht.
Später brechen wir Richtung Boyana Wasserfälle auf. 3 Stationen Ubahn. Dann ein Bus mit der Nummer 93. Nackt, ganz ohne Handy in einer grossen Stadt. Wird schon klappen. Der Bus wird mit 45 Minuten Wartezeit angezeigt. Puh. Im Regen, an dieser grossen Strasse? Ne. Das muss nicht sein. Ein halb laufender Spaziergang. Dann gehen wir wieder zurück.
Deljan zeigt mir noch Böhmermanns Varoufakis Lied, wir lachen gemeinsam. Es geht wohl in den Regen morgen. Ha! 🙂