24.11.: am Abend – Nein-Sagen lernen
Mein nach Harmonie schreiendes System verbietet es mir, Nein zu sagen, bzw. Menschen zu sagen, dass ich sie nicht mag, oder zu erklären, warum ich gehe.
Doch das Apartment hat mir nicht gefallen und auf Berna einzugehen hat mir ebensowenig gefallen. Ihr weiter Interesse zu zeigen und vorzuheucheln – macht keinen Sinn. Ich möchte auf dieser Reise vor allem mein inneres Vertrauen finden. Somit auch hierin:
Nachdem ich bis 12.30 Uhr diese Mitteilung erfolgreich vor mir hergeschoben habe, steht Berna plötzlich vor mir. Mit Händen und Füssen und Google translator erkläre ich ihr, dass ich fahren möchte.
Sie reagiert gefasst. Ich bin zudem erst einmal erleichtert. Ich habe für mich Klarheit geschaffen.

Es ist 0.33 Uhr. Ich lese seit Stunden in Murakamis „Gefährliche Geliebte“. Seit über 4 Monaten habe ich keinen Roman gelesen, weil mich nichts davon richtig gefesselt hat. Dieses Mal ist es etwas anderes. Bereits nach meinem Auszug habe ich ihn am Bücherschrank in Thalkirchen entdeckt, beim ersten, nein zweiten Wiedertreffen Theresas.
Ich erinnere mich an die schwarzen Haare Ayşegüls, an ihre leisen, zarten Berührungen meiner Hände, wie sie im Bus im Zweiersitz ihren Kopf auf meinen Schoss bettete. Und, wie ich die ersten 10 Seiten von Murakamis – ja, ich nenne es ein Meisterwerk – direkt lesend für sie übersetzte. Bei einzelnen Wörtern, ich glaube es war „Zwölfjähriger“ auf das Wort zeigte und mich fragte, was es heisst. Mit welcher Faszination sie meiner freien Übersetzung folgte und die deutsche Sprache sehen, verstehen wollte.
All das war schön.
Wer ist Ayşegül? Das werdet ihr noch erfahren.

Es ist ein Tag vergangen. Ein sogenannter „Pausetag“. Ein gediegener Radreisender hat sich nach einem gewissen Kilometer- und Tages- oder Wochenpensum einen Urlaub vom Urlaub verdient. Die professionelleren unter ihnen machen das nach 1.000 Kilometern. Manche, so wie ich, die nicht des Sport wegens hier sind, machen es nach 350 Kilometern.
Ein Pausetag mit Ausschlafen. Ein Tag mit Warten auf das Sonnenfenster zwischen den Regenschauern. Und dann ein perfekter Meeres-Schwimeinsatz bei satter Temperatur. Ich muss leider immer tauchen. Wenn ich ins Wasser gehe, dann stecke ich den Kopf ins Wasser und kraule – ohne Luft zu holen – oder tauche einen Meter unter der Wasseroberfläche so weit ich kann. Es erinnert mich an die vielen Stunden, die ich in den Sommern meiner Jugend mit meiner schüchternen Pubertät klarkam, mit unausgelebten Gefühlen, Bedürfnissen und Träumen: am Baggersee unweit von Riedhausen. Oder an viele andere Seen. Ich habe in meinem Leben wahrscheinlich in über 100 Seen gebadet. Egal, ob kalt oder warm. Und immer Kopf unter Wasser. Und tauchen. Ausser dieses eine Mal am Sendener Baggersee bei Leo, als uns buchstäblich die Hoden abfroren: der ganze See war bis auf die Umrandung am Steg eingefroren.
Hier im Meer fühle ich mich das erste Mal wohl. Da ich immer tauche habe ich das auch in den salzigsten Gefilden nicht unterlassen. Deshalb haben sich die Schmerzen in den Augen so in meine Erinnerung gebohrt, dass Meerwasser für mich bis heute eine ambivalente Erfahrung war. Dieses Mal bin ich irgendwie frei und geniesse es. Wenn auch bei einem weissen, wabbligen für eine Sekunde eine perfide Angst in mir aufspringt: Gibt es hier Quallen?




Elke von Warmshowers antwortet mir. Sie kommt heute seit März das erste Mal in ihr Haus in Koyunbaba zurück. Das liegt nur 5 Kilometer nördlich von Gümüslük. Wenn mit dem Haus alles Fein ist, kann ich kommen und bleiben.
So sitzen wir in ihrer Küche mit Glasfassade und Blick aufs Meer und erzählen uns stundenlang Geschichten. Sie ist Australo-deutsche-Wahltürkin und ich bin von diesem mannigfaltigen Lebensweg fasziniert. Die Idee für einige Jahre im Ausland zu leben und zu arbeiten, gefällt mir. Wie kann ich das mit den Kindern in Einklang bringen? Es wird wohl noch einige Jahre warten müssen, diese Idee.
Ich werde wohl in Murakamis Buch weiterlesen. Und viel später schlafen, als geplant. Die Fähre morgen um 9 Uhr von Bodrum – 25km entfernt – wird entweder mit müden Augen erreicht – oder gar nicht. Dann erscheint mir die Alternative: nach Bodrum zu fahren, um für die Kinder verschiedene Kleinigkeiten zu besorgen und diese nach Deutschland zu schicken, als viel, viel schöner. Gute Nacht.