Das Feld der Möglichkeiten

„Alle Wege sind offen und was gefunden wird, ist unbekannt.
Es ist ein Wagnis, ein heiliges Abenteuer!
Die Ungewissheit solcher Wagnisse können eigentlich nur jene auf sich nehmen,
die sich im Ungeborgenen geborgen wissen, die in die Ungewissheit, in die Führerlosigkeit geführt werden,
die sich im Dunkeln einem unsichtbaren Stern überlassen,
die sich vom Ziele ziehen lassen und nicht – menschlich beschränkt und eingeengt – das Ziel bestimmen.
Dieses Offensein für jede neue Erkenntnis im Außen und Innen:
Das ist das Wesenhafte des modernen Menschen,
der in aller Angst des Loslassens
doch die Gnade des Gehaltenseins
im Offenwerden neuer Möglichkeiten erfährt.“
Pablo Picasso

Am Abend des 28. November sitze ich in den letzten Zügen der Dämmerung am Busbahnhof von Datca. Die südwestlichste Provinz der Türkei, bevor die erste griechischen Inseln im ägäischen Meer beginnen. Dieses Zitat ist so wunderbar passend, da ich gestern nicht mehr wusste, was ich machen sollte und was die nächsten Tage bringen werden. Sollte ich Amanda besuchen, eine Botswanerin, die gerade ein Aupair macht. Oder gleich mit dem Bus nach Pamukkale los, um die heissen Quellen in den Sinterterrassen nicht nur zu sehen, sondern zu fühlen?

Beides erschien mir ziellos, sinnfrei und irgendwo auch langweilig.

Und doch sitze ich jetzt mit den wahnsinnig coolen Erinnerungen dieses Tages am Busbahnhof und bin traurig, diesen Ort zu verlassen. Die Umstände und sportlich verrückten Gegebenheiten waren genial.

Das Frühstück im Erdem Hotel erweist sich wieder mal als dürftig: als einziger Gast auch zu verstehen. Keine Ahnung, wie sich das lohnen soll, für nur einen Gast 5 Leute anzustellen.
Es gibt ein kaltes, gekochtes Ei, in Fäden geriebener Mozzarella, Tomaten- und Gurkenscheiben, çay, Honig, Butter und Brot.

Vor dem Frühstück erst noch einmal baden. Es wird ein warmer Tag werden.
Ich schreibe kurz mit Amanda, richte meine Sachen und lasse das Rennrad im Hotel stehen – bezahle bereits für eine weitere Nacht.

Wie würde ich nach Datca kommen? Wenn ich Glück habe, fährt ein passender Bus nach Marmaris. Von dort der zweite Bus nach Datca. Der Vorteil der Busse in der Türkei ist, dass sie überall anhalten und eigentlich keine richtigen Bushaltestellen haben. Man kann auch dazwischen ein und aussteigen.
Wenn ich in Deutschland einen Busfahrer frage, ob er mich an einer bestimmten Strassenecke aussteigen lassen kann, wurde das bisher immer verneint.

Also schnappe ich mir den ersten Bus bis hoch zur Schnellstrasse und strecke den Daumen aus. Noch halte ich es für unwahrscheinlich, dass ich direkt nach Datca komme. Aber so ist das nunmal. Wenn man etwas richtig macht, dann öffnen sich plötzlich Türen:
Das 11. Auto, dass den Hügel an mir vorbeirast hält an. Ein SUV mit einem nobel gekleideten Mann mit Sonnenbrille. Er lässt das Fenster herab und schaut mich fragend an.
„Datça… ou Marmaris.“
„Datça“, sagt er. (What?, klingt es in meinen Ohren. Wiedermal den Jackpot gezogen.) Und wieder einmal packe ich ein französisches „oder“ dazwischen, weil ich es auf türkisch noch immer nicht weiss.
Mohammed heißt er und über die Sprachfunktion des Google Translators entsteht ein kleines Gespräch. Ich erzähle ihm von meiner Reise. Er fragt, wie ich denn die Zeit habe.
Kurz vor Marmaris erzählt er von „kisa“ und biegt nach rechts ab. Es sei wohl eine Abkürzung. Diese führt knapp an Erdogan Palast vorbei. Recep, Tayyip Erdogan. Merkt euch mal den Sprachklang dieses Namens, er kommt später nochmal vor.
Wir heizen über die Halbinsel, diese letzte Enklave, hinter dessen bis auf 500 Meter über dem Meer hohe Pässe noch einmal eine kleine Stadt mit über 20.000 Einwohner liegt.

Mohammed macht irgendwas mit Bau. „Ikonic constructions“. Kann mir darunter wenig vorstellen.
Allerdings geht er, in Datca angekommen, wie selbstverständlich in den Hinterraum eines kleinen Cafes. Auf die Nachfrage, ob es seines ist, erklärt er mir, dass es nur eines seiner 3 Cafes in Datca ist. Die Türkei weist aus meiner Sicht viel mehr Geschäftsmänner auf, die sich trauen, etwas aufzubauen, als in Deutschland.

Amanda schreibt mir, dass es so weit bis zum Hafen sei. Ich setze mich also direkt an die Docks und geniesse die Sonne. Es wird sogar so warm, dass ich das Tshirt ausziehen muss.
Während ich warte, beobachte ich ein lustiges Schauspiel: ein feister Mann entkleidet sich bis auf die Badehose und zieht sich Taucherbrille und Schnorchel an. Dann geht er tatsächlich ins Meer.
Bibbernd steht er im Wasser. Dennoch schwimmt er zwischen den Bojen etwa 50 Meter weit hinaus. Ich halte es zunächst für verwirrend, dass er hier im Dockbereich tauchen will. Entdecke dann aber seinen Grund dafür:
Nach einem weiteren Tauchgang zieht er einen Anker aus dem Wasser. Gemeinsam mit seiner Frau, die an Land an einem Seil zieht, bringen sie diesen Schatz an Land. Während ich darüber nachdenke, warum ein Anker an einem am Land befestigten Seil in der Bucht liegt, verpasse ich 2 Anrufe Amandas.
Schliesslich finden wir uns und. Dunkle Haut, grosser Lockenkopf und eine Art zu reden, die sich so anhört, als würde sie die Worte ausspucken. Zudem allerdings ein sehr gehobenes, britisches Englisch.
Sie hatte mich über okc kontaktiert, da sie gerade von Bodrum nach Datca gezogen ist und niemanden in der Gegend kennt. Eine Umarmung zur Begrüssung.

Dann, eine Zigarette anzündend, fragt sie: „Where do I get beer?“
Ha. Das kann ja was werden, überlege ich mir, innerliche Abneigung spürend. Doch es wird noch lustig.

Denn die Suche nach dem Bier bringt uns an einem interessanten Mann vorbei:
Lange, weiss-graue Haare, so ein halb wackelnder Gang und dazu etliche Klammern in verschiedenen Grössen an seinem Tshirt und Gürtel hängend.
Ich merke, wie Amanda weiterlaufen will. Doch ich höre zwei deutsche Worte aus seiner unklaren Kontaktaufnahme heraus und drehe mich wieder zu ihm um und quatsche zurück.
In den nächsten 25 Minuten werde ich Zeuge eines absolut einzigartigen Menschen, der mich zugleich in etlichen Formen fasziniert und ich ebenso vor ihm weglaufen will. Dieses Erlebnis war für mich auf so vielen Ebenen übertrieben und mannigfaltig, dass ich es für unmöglich halte, auch nur ein Teil davon wieder zu geben. Ich gebe dennoch mein Bestes:
Während ich die kleine Wodkaflasche Hakans auf einen grossen Blumentopf wandern sehe, merke ich, wie tausende Geschichten in meinem Kopf auftauchen. Ich merke, wie ein Teil von mir davon rennen will. Der andere Teil ist fasziniert. Ich merke das gleiche Verhalten sehe ich bei Amanda. Sie dreht sich, um weiterzugehen. Doch ich zeige mit meiner Körperhaltung hartnäckig an, dass ich bleiben will.
„Whats your name?“ Fragt er mich.
„Marian.“ (Englisch ausgesprochen.)
„Aah. Marry-An. So you will marry anus?“

Ich spreche Hakan auf seine Klammern an. „Klammern. Klamm – Er. Also: er klammert.“
Und so geht es weiter. Jedes Wort, das ich Hakan schenke, wird in ein Wortspiel verwandelt. So freaky und so schnell, dass ich nicht mehr hinterherkomme.
Ich teile ihm die beiden Teile in mir mit:
„Look. Hakan. There is a part of me that is fascinated. I want to hear more of it. But you are so often stepping way to close to me and you are stepping over all of my boundaries that my system of communication has.
And your whole appearance and behavior is so far away from what I experienced with most of the people. So, you are so freaky for me that I want to run away.“
Er hört mir zu, aber nimmt es nicht wirklich auf. So schnell wie er spricht und denkt, muss er Mathematiker sein. Er erinnert mich fast an „a beautiful mind“. Nur, dass dieser fast wie eine Art wortspielender Rapper vor mir steht.
Zwischen den Zeilen, als das Jahr 1992 erwähnt wird (er hat nach Amandas Geburtstag gefragt) sagt er: „the year when Hakan won the turkish chess championship.“ Und das einfach zwischen hunderten Wortspielen.
Irgendwann haut er noch den hier raus:
„Erdogan. Tayyip. No. Antayyip. – untie IP. Untie your IP.“
Es ergibt sich also kein tatsächliches Gespräch sondern ein brodelndes Wunderwerk.
Zwischendurch zeige ich Hakan allerdings meine Grenze auf:
„Please. Hakan. Calm the fucking down! I cannot follow you. You jump from topic to topic. From wordgame to wordgame. I really want to listen to you. But this is too much.“
Dabei werde ich richtig energisch.
Schliesslich zieht Amandas Drang nach Bier, damit wir gehen können.

Mit ihrem ersten Bier sitzen wir nahe einem Taxistand.
Mein Plan: mit dem Taxi rauf zur Hauptstrasse. Dann per Autostopp bis nach Knidos, der wirklich allerletzte Ort der Türkei, griechisches Historiendorf mit einem Leuchtturm am Ende. Etwa 35km vom Zentrum Datcas gen Westen.

Erst um halb drei stehen wir an der Kreuzung, versuchen es zu trampen. Doch leider scheint hier die Ausrede einiger Autofahrer, dieses unmissverständliche „ich-biege-gleich-ab-Zeichen“ machend, doch zu stimmen. Es gibt ein Köfte für Amanda und eine Linsensuppe für mich.
Nach einer Stunde ist das Ergebnis eine Rollerfahrerin, die extra umgedreht hat, um ganz lieb nachzufragen, ob wir denn etwas brauchen. Somit gehen wir mit dem Plan, einen Scooter zu mieten, wieder Richtung Innenstadt. Die ganzen Rent-a-cars haben Sonntag Nachmittag allerdings zu.

Somit irren wir wieder am Strand entlang, nur hundert vom Treffpunkt mit Hakan. Dieses Mal an der Schule vorbei, auf dessen Hof ein Basketballplatz steht.
Amanda wiederholt ihren Vorschlag:“ lets just play with them.“
Auf dem Platz sind insgesamt 10 Kinder verteilt. Dazu sitzen einige an der Wand und „chillen“.

Zunächst steigt Angst in mir auf. Das sind alles Jugendliche. Kinder. Ich weiss gar nicht, wie ich „können wir mitspielen?“ Sagen soll.
Als wir näherkommen verändert sich bereits das Feld. Plötzlich stehen nur noch 2 Jungs an einem Korb und ein Mädchen am anderen. Ich werfe einen Ball zu einem dickeren Jungen.
Dann traue ich mich nicht mehr, bei ihnen zu stehen und gehe stattdessen zu Amanda und dem Mädchen rüber, die Asra heisst. Sie läuft immer wieder aus dem Kreis heraus, macht drei Sprünge mit dem Ball und springt dann zum Korb. Sie trifft häufiger als Amanda und ich zusammen.
Einer der beiden Jungs spielt mit sehr viel Energie, starke, schnelle Bewegungen. Während ich einmal den Ball hole, nimmt er Anlauf und Springt an den Korb. Er hängt kurz an der Stange, rutscht dann ab und fällt bäuchlings auf den Boden.
Ich mache es ihm nach und springe aus dem Stand an die Stange, klammere mich dann noch fest, ziehe mich rauf und hänge in meiner Lieblingsposition: einarmige Blockade (rechter Winkel) am Korb.
Etwas später tritt der Alphajunge im weissen Shirt den Ball Richtung anderen Korb. Er fliegt daneben, hüpft auf und fliegt über die Sockelmauer mit Zaun. Dahinter fliegt und rollt der Ball weiter. Ich schaue mir die Mauer an: etwa 90 Zentimeter hoch. Darüber der Zaun noch einmal 80 Zentimeter. Schon vorher habe ich mir einen dieser Zäune angeschaut und Lust bekommen, hier an den Sockel zu springen und dann einen Demi-Tour (Parkourbegriff für: Sprung mit halber Drehung) darüber zu machen. Ein Griff an den Zaun hat ergeben, dass mir der Zaun zu instabil ist.
Diesmal ist es mir egal. Ich bekomme so Lust, der Retter des Balls zu sein, dass ich loslaufe. Abspringen, das linke Bein landet auf der Mauer. Während mein Körper nach oben fliegt, berühre ich den Zaun kurz als Stabilisierung. Als flüssige Bewegung springe ich von der Mauer ab und lande mit beiden Beinen oben auf dem Zaun. Yes: der Zaun hält! Und noch ein Sprung vom Zaun über den lavendelbewachsenen Grünstreifen auf den Fussgängerweg. Der Ball rollte dahinter umher. Ich schnappe ihn und werfe ihn zurück aufs Feld.

Szenenwechsel: Amanda und ich haben uns aus unserem kurzen „intervene“ zurückgezogen und beobachten den Basketballplatz.
Der Weissshirtalphajunge ist Teil unserer Aufmerksamkeit. Er kickt einen der Basketbälle immer wieder über den ganzen Schulhof.
„He’s about to impress these girls, or he just doesnt know where to go with his feelings.“
Darauf antwortet Amanda:
„He’s just the bad guy. And he tries to be cool.“
„But he is. You see these girls adoring him?“
Es entsteht ein unübersichtliches Wirrwarr in dessen Mitte zunächst der weisse Alpha ist. Dann tritt plötzlich „Tomboy“ auf. Ein ebenso gross gewachsenes Mädel mit weissem, über den Hintern übergrossem Shirt. Mit Tomboy meint Amanda eine eher männliche Kleidung. Es ist ihr einfach egal, da sie Sportlerin ist. Sie nutzt den Basketball als Fussball und kickt ihn umher. Ihre forschen Bewegungen ähneln von der Zielstrebigkeit unserem Alpha.
In dem Tumult klettert der Alpha auf den Korbständer, über das Schild auf die kreisförmige Stange des Korbs. Kinder rennen umher. Als König sitzt er dort oben und weiß nicht so recht, was tun. Ein jüngerer Kerl mit golden gefärbten Haaren klettert ihm hinterher.
Dieser ganze Tumult versetzt mich in meine Kinderjahre. Der Teil, der immer imponieren wollte, wird wach. Zudem wird der Teil, der springen, hüpfen und Parkour machen will wach. Ich überlege mir, ob es möglich ist, von der Oberkante des Zauns zur Stange des Fussballtores zu springen. Ein drop von etwa 1,80m sowie eine Entfernung von 3 Metern. Sobald ich auf dem Zaun stehe, fängt Amanda an, mich anzufeuern. Bei meinem Sprung vorher über den Zaun habe ich wohl schon einen kleinen Fanclub gewonnen. Diese fangen ebenfalls an, mich anzufeuern. Ich schätze ab und entscheide mich dafür, mit einem Schritt vom Boden zu springen. (Eine gute Entscheidung, wie sich gleich zeigen wird)
Ich lande an der Oberstange des Tores und schwinge mich dann weiter herauf zum Korbständer. Hier lässt an den Querstreben zum Korbschild mein Fuß einhängen, wodurch ich kurz kopfüber mit einem eingehängten Bein hängen kann. Ich klettere nach vorne zum Korb und mache noch ein paar einarmige – halbe – Klimmzüge. Dann klettere ich unterhalb des Korbs zurück und hänge die Beine an die Oberstange des Tores, ziehe mich ran und da passiert es: Das Tor kippt. Die Pflastersteine werde aus dem Boden gezogen. So bleibt es in einer instabilen Position stehen – die Pflastersteine nur halb im Boden. Der ganze Trupp beobachtet mich und umgarnt mich. Lacht mich aus und zeigen sonst welche Kommentare. Ich schäme mich. Versuche den Schaden zu richten, was aber nicht klappt. Gemeinsam mit Amanda bekommen wir einige der Kinder hinten auf die bodennahe, rückseitige Stange. Mit „bir, iki, üc“ springen wir alle auf einmal.
Es klappt noch immer nicht.
Nach einem unklaren Reperaturversuch ohne Ergebnis ziehe ich mich auf den Zaun zurück.

Aplhajunge ist weg. Dafür sind Tomboy und ihre kleine Schwester plötzlich da.
Diese fangen provokativ an, über Dollars und, dass die Türkei so arm sei, zu reden.

Unser Übersetzer ist in diesem ganzen Haufen ein weiterer, sehr besonderer Junge. Einen Baumwollpullover, schöner, gemachter Frisur und einer Tasche über die Schulter hängend, bringt er Ruhe in diesen ganzen Raum. Uzay. Der simultan die schimpfenden Worte der beiden Mädels übersetzt.
Ich bin so beeindruckt von allen 3 Charakteren und zugleich überfordert.
Schliesslich fragt Tomboy, ob wir mit Ihnen Basketball spielen.
Ich verneine zunächst.
Dann beeindruckt mich die Situation so sehr, dass ich sage:
„Okay, Amanda plays with you. And whoever wins, I am paying dinner for.“

Tomboy versteht nur den „Amanda is playing with you part“ und steht mit dem Ball bereit. Ich versuche noch hinzuzufügen, dass Amanda einen Teammate bekommty während das junge Mädchen alleine Spielen soll.
Aus einem weiteren Missverständnis entsteht, dass Deren – ihre kleine Schwester – und Yirmat (Tomboy) plötzlich gemeinsam gegen mich und Amanda spielen. Es entsteht ein Spiel, bei dem wir gnadenlos abgezogen werden. Ausser ich traue mich, wirklich an den Ball zu gehen, und das kleine Mädchen nicht einfach umzuwerfen.
Während des Spiels taucht zu allem Überfluss ein Trillerpfeife pfeifendes etwa 2 jähriges Mädchen auf, dass mir nichts, dir nichts zwischen uns hindurchläuft. (Im Nachhinein betrachtet ist es als Wunder, dass hier nichts passiert ist.)

Nach etwa 20 Minuten sitzen Amanda und ich vor Schweiss tropfend da. Yirmat haut ab. Deren bleibt da und feuert plötzlich in mannigfaltigen Worten ihre Wut heraus. Keine Ahnung, was sie wollte. Es wirkt wie eine eigentlich dahinter liegende freundliche Botschaft. Sie wird allerdings immer wieder von ihren Freundinnen zurückgehalten, festgehalten. Inmitten dieser Kinder steht immer wieder Uzay der übersetzt als unbeirrbarer Felsblock. Ruhig.

Irgendwann gehen wir. Hungrig wie Wölfe. Und doch traurig.
Ich erkläre Amanda, dass mich das so glücklich gemacht hat und ich mich jetzt so verbunden fühle, das ich nicht gehen will. Ich habe mich sozusagen in diese ganzen Kinder und den Moment verliebt.

Wir gehen schweren Herzens, essen. Schliesslich, um dem ganzen Datça-Erlebnis einen Rahmen zu geben, treffen wir am Ende noch einmal auf Hakan. Er hat mir und Amanda bereits ein ein Bild gemalt, indem er unsere Namen bis fast zur Unkenntlichkeit verzerrt.

Puh. Jetzt fallen mir die Augen zu. Auf dem Nachhause weg treffe ich um 10 Uhr abends drei Frauen, die am Nachbar zu Abend essen; sie sprechen deutsch. Jetzt zu müde bin.

Am Ende des Tages bleibt für mich die allgemeine Frage:
Wie baue ich Nähe auf, wie baue ich Kontakt auf? Wie macht ihr es? Von allen Personen des heutigen Tages stand mir Uzay fast am nächsten. Er hat beobachtet und mit Ruhe auf meine Fragen reagiert, vermittelt und sozusagen das ausgestrahlt, was sein Name aussagt.
Kurz bevor wir gingen sagte er:
„Uzay. That means: Space.“
Das gab mir einen kurzen Moment Gänsehaut.
„Do you know what, Uzay? This is amazing. Because you are giving space to this whole schoolyard.“
Dagegen wäre es ein wunderschönes Experiment gewesen, nah an Hakan ranzukommen. Während er immer und immer wieder Wortspiele raushaut, geht es um seine Fähigkeiten, nicht aber um ihn. Ich glaube, dass die meisten Menschen den Reflex, vor ihm wegrennen zu wollen, kaum unterdrücken können.
Viel zu viele Menschen haben im zwischenmenschlichen Kontakt Misstrauen und gehen beim ersten Konflikt aus dem Kontakt.
Wie kann ich mit egal welcher Person Nähe und Vertrauen aufbauen?
An dem Projekt „Hakan und Nähe“ könnte jeder etwas lernen.
Zudem fällt mir – wenn auch nicht in solch extremer Form – auf, dass ich mit meiner Art in einigen Frauen den Impuls, wegzulaufen, ausgelöst habe. Weil ich zu viel war? Bzw. Weil es ihnen zu viel war, was ich von mir zeige. Hakan hat mir das gespiegelt und ich habe es Hakan ja gesagt:
„Calm (the fuck!) Down!“ Sollte ich mich auch beruhigen?
Als ich in Akyaka ankomme, will ich noch einmal so eine leckere Pizza in meinem guten Ev Yemekleri Laden. Während ich darauf warte setzen sich drei Frauen an einen Tisch. Ich schnappe ein paar deutsche Worte auf.
Kurze Zeit später sitze ich bei ihnen am Tisch und werde von Sammy, Hiam und Cansel begrüßt.
Wir spielen Altersraten und schliesslich Berufsraten. Letzteres schafft eine sehr schöne, langsame und ehrliche Atmosphäre, weil jeder sich mit all seinem Zagen zeigt. Die drei wohnen für 9 Tage in einer Villa in Akyaka. 500€ gesamt. D.h. 500/(9×3) also ca. 17€ pro Nacht pro Person. Die Villa ist schliesslich die Antwort auf die Frage, ob und wo ich mein Fahrrad unterstellen kann, wenn ich nach Denizli fahre. Nach einem langen, schönen Spaziergang, der von Strassenhund „Tanner“ beschützt wird, schaue ich mir die Villa noch an und kann kaum gehen, weil ich mich irgendwie zu den dreien verbunden fühle.

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